Kodak-Retina-„Papst“ Dr. David L. Jentz von der HSRC auf Forschungsbesuch im Deutschen Kameramuseum

hrsc dr.jentz eisgrub schicht 1
Bild: Thomas Wanka

Wer sich als Sammler ernsthaft mit Kodak-Kameras befasst, der kommt an Dr. David L. Jentz und seiner von ihm 1992 gegründeten "Historical Society for Retina Cameras" (HSRC) nicht vorbei. Diesen renommierten US-Spezialisten aus der Kleinstadt Rensselaer im Bundesstaat Indiana sowie seinen deutschen Freund und Forscherkollegen Klaus Schicht aus Eutin in Schleswig-Holstein konnte Fördervereinsvorsitzender Thomas Wanka mit einigen Museumskollegen im September 2023 im Plecher Museum anlässlich einer Forschungsreise der beiden Fachleute durch Deutschland begrüßen. Im Bild oben (von rechts) im Gespräch: Dr. Jentz, Klaus Schicht und Dr. Alexander Eisgrub vom Museumsvorstand.

Plecher Museums-Exponate sind jetzt in der Datenbank der
"Historical Society for Retina Cameras" (USA) verzeichnet

Getreu Klaus Schichts Motto „Informationen werden wertvoller, wenn sie geteilt, und weniger wertvoll, wenn sie gehortet werden“ (dem sich auch das Deutsche Kameramuseum verpflichtet fühlt), sammelt die gemeinnützige historische Gesellschaft Informationen und forscht weltweit über Kodak-Retina- und Retinette-Kameras und hat – so Dr. Jentz – „eine Datenbank mit mehr als 54.500 Kodak-Retina- und Retinette-Kameras und deren Eigenschaften aufgebaut“. In seiner Kontaktaufnahme im Januar 2023 kündigte Dr. David L. Jentz den Besuch der beiden Kodak-/Nagel-Sammler für September an: „In den letzten Jahren haben wir unser Interesse auf alle Kameras ausgeweitet, die in der Dr. August Nagel Fabrik für Feinmechanik und der Kodak AG Dr. Nagel-Werk in Stuttgart-Wangen hergestellt wurden.“

Dr. Jentz: „Wir würden gerne die verschiedenen Nagel- und Kodak-Kameras in Ihrem Museum untersuchen und deren Daten aufzeichnen. Im Gegenzug würden wir das Deutsche Kameramuseum zum Mitglied der HSRC machen und unser gesamtes Wissen über die Kameras in Ihrer Sammlung, die wir untersucht haben, mit Ihnen teilen und unsere vielen Artikel und Veröffentlichungen mit Ihnen teilen, so wie wir es für andere Museen getan haben, die sich mit der Geschichte der Fotografie in Deutschland, Großbritannien und den Vereinigten Staaten beschäftigen.“

Akribische Begutachtung, detaillierte Datenerhebung

Die Mitarbeiter des Museums mit Thomas Wanka, Thomas Geitner und Dr. Alexander Eisgrub hatten in Vorbereitung des Besuchs schon die entsprechenden Apparate aus den Vitrinen und Depots zusammengetragen und auf mehreren Tischen bereitgestellt. Schnell wurde den Umstehenden klar, dass sich mit Dr. Jentz nicht nur ein Retina-Enthusiast, sondern ein echter Wissenschaftler an die Arbeit begeben hatte: Die vorhandenen Kameras wurden akribisch begutachtet, auf den ersten Blick verborgene Seriennummern wurden notfalls mit einem Zahnarztspiegel abgelesen und die Angaben in einer komplexen Datenbank erfasst. 

In der Zusammenschau mit den übrigen Quellen – Verkaufsprospekte, Firmenunterlagen, Informationen von früheren Kodak-Mitarbeitern – gelingt es so nicht nur, fast jeder Retina ein genaues Produktionsdatum zuzuordnen, sondern auch, Produktions- und Marketingstrategien transparent zu machen und lange tradierte Mythen zu widerlegen. 

So lässt sich an den Gehäusekappen von Varianten der Kodak Retinette mitverfolgen, wie bei gleichbleibender Abbildungsleistung der Kamera der Produktionsprozess mit dem Ziel der Kostensenkung vereinfacht wurde: Aufwendige Gravuren wurde durch gestanzte Schriftzüge und Symbole ersetzt, die Zahl der Schleifvorgänge zur Satinierung wurde immer weiter reduziert, was sich an einem aufdringlicheren Glanz des Bauteils zeigt.

hrsc dr.jentz solo

Seine Bücher sind legendär und seine Listen mit Seriennummern und Produktionsjahren werden weltweit tausendfach zitiert und verbreitet: Dr. David L. Jentz. Foto: Wanka

Aufräumen mit verbreiteten Mythen

Die Modelle der Vorkriegs-Retinas wurden den Originaldokumenten von Kodak zufolge nicht, wie oft zu lesen, als „Typ“, sondern als „Nr.“ bezeichnet. Ein weiterer, von Dr. Jentz widerlegter Mythos ist die angebliche Endmontage der Retina II (Typ 011 mit dem 47-mm-Ektar) in den USA. Die Kamera wurde tatsächlich komplett in Deutschland montiert, aber praktisch nur an US-Besatzungssoldaten verkauft, weshalb sie in Deutschland selten, in den USA aber durchaus häufig anzutreffen ist. 

Dr. Jentz teilt seine Forschungsergebnisse nicht nur im Gespräch, sondern auch in zahlreichen Publikationen, die er großzügig dem Plecher Museum überließ. Außerdem kündigte Dr. Jentz vor seiner Weiterreise zur nächsten Retina-Sammlung an, bei seinen „Retina Holidays“ im kommenden Jahr das DKM erneut aufzusuchen. 

Herbst 2023/A. E./kt.

Eine Auswahl der bisherigen einschlägigen HSRC-Veröffentlichungen

retina buch hell (1)
retina buch hell (2)
retina buch hell (3)
retina buch hell (4)
retina buch sw (4)
retina buch sw (1)
retina buch sw (2)
retina buch sw (3)