Andrea Denoth, Dicken, Schweiz

laterna magica ch flach
Bild: Andrea Denoth

Manche Geschichten klingen zu schön, um wahr zu sein. Oder halten Sie es auf Anhieb für glaubhaft, dass ein Schweizer Rentner aus Dicken bei St. Gallen sich frühmorgens um 7.15 Uhr in den Zug setzt, im Gepäck einen Rollkoffer und eine große blaue IKEA-Tasche voller Projektoren, Kameras und anderem Fotozubehör, nur um diese Sachen in einer 1.000-km-Gewalttour dem Deutschen Kameramuseum zu bringen? Und das alles, hin und zurück, an einem Tag?

Wie ein antiker Pariser Diaprojektor per Zug aus der Schweiz ins Plecher Kameramuseum fand

Sehen Sie, Sie können sich das auch nicht so recht vorstellen. Und doch hat sich genau das am Donnerstag, 1. Februar 2024, so zugetragen. Die Geschichte von vorne: Am Samstag, 20. Januar 2024, erreichte das Museumsbüro eine E-Mail aus der Schweiz. „Silvia & Andrea Denoth“ aus CH 9115 Dicken hätten zwei Diaprojektoren gratis abzugeben: eine seltene Laterna magica eines Pariser Herstellers mit wunderschönem Messingobjektiv und einen weniger seltenen Leitz-Diaprojektor samt Vorschalt-Widerstand und einiges an Zubehör. Und man wolle die Sachen gerne nach Pegnitz bringen, wo sich in der Privatwohnung von Museumsleiter Kurt Tauber auch das Büro des Plecher Museums und die Anlaufstelle für die meisten Spendenpakete befindet.

Tauber dachte sich: „Oh, zwei Schwester trennen sich von Erbstücken…“ und schrieb erfreut eine E-Mail zurück an die „sehr geehrte Frau Silvia Denoth“ und die sehr geehrte „Frau Andrea Denoth“. Er gehe davon aus, dass die edlen Spenderinnen auf der Durchreise auf der nahen Autobahn 9 die Exponate abgeben würden und bot deshalb ersatzweise einen Treff im Plecher Museum mit Besichtigung der Ausstellung an.

Zurück schrieb eine der beiden „Schwestern“, dass man mit dem Zug und zwar eigens für den Projektorentransport, anreise und fügte augenzwinkernd hinzu: „Andrea ist in Teilen der Schweiz und Italien ein männlicher Vorname, völlig unüblich in Deutschland und Österreich 😉. Kein Problem, ich lebe seit 70 Jahren gut mit den doppeldeutigen Anreden.“ 

Und so entspann sich ein munterer Mailverkehr mit dem Hinweis Taubers, jetzt habe er ein schlechtes Gewissen: a.) wegen des Vornamens-Fauxpas und b.) wegen der Tatsache, dass der Herr Denoth die Sachen extra (!), und nicht etwa auf der Durchreise nach Norden, mit dem Zug (!) aus der fernen Schweiz nach Pegnitz bringen wolle. Das müsse er absolut nicht: weder wegen a.) noch wegen b.), lautete die Antwort. Der erste geplante Termin, Montag, 29. Januar, 14.15 Uhr Ankunft in Pegnitz, musste wegen des bundesdeutschen Bahnwarnstreiks verschoben werden auf Donnerstag, 1. Februar.

Und das klappte dann auch, mit halbstündiger Verspätung wegen einer ausfallenden Zugverbindung (in Deutschland, nicht in der Schweiz). Andrea bot Tauber und dessen Sohn Alexander sofort wie selbstverständlich das Du an und man lud die Pretiosen – es waren natürlich mehr als angekündigt – in den Kofferraum des PT Cruiser, der gerade noch ausreichte. Denoth hatte die Sachen in einem stattlichen schwarzen Rollkoffer verstaut und in einer voluminösen blauen IKEA-Tasche. Man plauderte über Berufliches und Sammelleidenschaften. Andrea Denoth brannte vor allem als gelernter Elektriker für Rundfunkgeräte, aber auch diverse Fotogeräte sammelten sich an… 

2024 denoth zug

Der Kofferraum des Chrysler PT Cruiser war fast zu klein für die Laterna magica, den Leitz-Projektor und die anderen Photographica, die Andrea Denoth (70) in einem Rollkoffer und einer riesigen IKEA-Tasche mit dem Zug aus der Schweiz anlieferte. Foto: Kurt Tauber

Auf die immer noch ungläubigen Fragen Taubers, warum man sich als 70-jähriger Schweizer so etwas antut, in einer 1.000-km-Tagestour per Zug Fotosachen kostenlos an ein nordbayerisches Museum zu bringen, antwortete Denoth, das sei ja nicht so schlimm. Als ehemaliger Lokführer sei er das Reisen mit der Bahn doch gewohnt. Das hieß konkret: Fast 8 Stunden Zugfahrt mit fünfmal Umsteigen an schweizer und deutschen Bahnhöfen auf der rund 500 Kilometer langen Strecke St. Gallen – Bregenz/Lindau – Augsburg – Nürnberg – Pegnitz. Und 500 km wieder zurück. Und alles in Nahverkehrszügen, ganz ohne den Komfort eines IC oder ICE…

Die über achtstündige Heimreise laut Plan des versierten Eisenbahners verdeutlicht, was dieser eidgenössische Museums-Fan mit dieser Tour auf sich genommen hat: Pegnitz ab 15.19 – Nürnberg (Umstieg) ab 16.39 nach Augsburg (Umstieg) – Lindau Reutin (Umstieg) – Bregenz (Umstieg) – St. Margrethen (Umstieg) – St. Gallen (Umstieg) – Degersheim an 23.19 Uhr (Ausstieg) mit dem Auto heim nach Dicken – um 23.30 zuhause… 

Noch von unterwegs auf der Rückreise im Zug zwischen Nürnberg und Augsburg schrieb Andrea Denoth per E-Mail, dass er sehr zufrieden sei, „die Stücke bei euch im Museum zu wissen“ und bedankte sich für die Flasche Sekt, die ihm Tauber als kleines Dankeschön mit auf den Heimweg gab.

Das waren die sperrigsten Teile im Rollkoffer

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Ein klassischer Leitz-Diaprojektor nebst Vorschalt-Widerstand zur Spannungsreduzierung war auch bei den Mitbringseln aus der Schweiz. Fotos: Andrea Denoth

laterna magica paris

Prunkstück der eidgenössischen Spende “frei Haus” war diese Laterna magica aus Paris mit dem wunderschön erhaltenen Messingobjektiv. Dazu gab es jede Menge Zubehör.