Finetta 99: So verschieden wie die Blätter eines Baumes

Bild: Kurt Tauber

Die Stiftung Kameramuseum Kurt Tauber besitzt derzeit - Stand: 13. April 2023 - fünf Kleinbildkameras Finetta 99 von den Finetta-Werken in Goslar. Und alle sehen zwar irgendwie gleich aus und sind dennoch so verschieden wie die Blätter eines Baumes. Kein Wunder: Es gab zig Konstruktionsänderungen und Versionen bei dieser Kamera. Hier vier interessante Exemplare aus dem Nachlass des Konstrukteurs und Firmenchefs Peter Sarabèr.

Vier Modelle einer besonderen Kamera

Die Finetta 99 sollte die Krönung der Finetta-Reihe sein: eine erschwingliche, dennoch hochtechnisierte Kleinbildsystemkamera für den gehobenen Amateur. Es gab dazu ein reichhaltiges Zubehörprogramm: diverse Objektive, Balgengeräte, Metalltuben für Nah- und Makroaufnahmen, Filter, Adapterringe, einen Mikroskopadapter, sogar ein eigenes Blitzgerät namens Finelux, das schon 1950 als Patent angemeldet wurde und schon zur Finetta Super lieferbar war – ein richtiges System. Die Modellbezeichnung “99” soll übrigens vom Geburtsjahr Sarabèrs “1899” abgeleitet worden sein. In den USA wurde der die Finetta 99 unter dem Namen “Ditto 99” vertrieben. Vor der Finetta gab es ein Vorgängermodell, das “Finette” hieß.

Ob das nun vier Entwicklungsstadien einer Kamera sind oder ob die eingravierten Nummern keine zeitliche Abfolge darstellen sondern nur zufällig einer internen Inventarliste entsprungen sind. Oder ob das verschiedene Serienmodelle sind (denn die Seriennummern beginnen etwa bei 058999): Jedenfalls unterscheiden sich die Kameras äußerlich, obwohl sie immer erkennbar wie eine üblichen Finettas 99 aussehen: Gleich und unterschiedlich wie die Blätter eines Baumes. Die Exemplare mit ihren Besonderheiten wie im Foto unten von oben nach unten (geordnet nach den Nummern):

  • 069518: Ein Vorführ-Apparat (Dummy), an dem man teilweise das Innenleben freigelegt hat. Zeitenrad nicht vollständig. Gravuren: Vorne ohne Gravur, auf dem Sucher Schriftzug “Finetta 99” (wie meist bei den Serienmodellen). 
  • 075903: Zeiteneinstellrad abgerundet, nicht zylindrisch. Objektivadapter mit Schraubgewinde, das wiederum im serienmäßigen Bajonett steckt. Vorne Schriftzug Finetta 99, oben Gravur “Saraber Goslar” in angedeuteten Linsen (“ähnlich Leitz Wetzlar”). 
  • 080709: Links neben dem Blitzschuh ein zweites Einstellrad für die Langzeiten 1/25 bis 1 Sekunde. Vorne Schriftzug Finetta 99, oben Gravur “Saraber Goslar”.
  • 082614: Wieder ohne das zweite “Zeitenrad”, aber wieder mit Objektivadapter “Bajonett auf Schraubgewinde”. Vorne Schriftzug Finetta 99, oben Gravur “Saraber Goslar”.
 
Dem sehr empfehlenswerten Buch von Heinz Veddeler “Finetta – Peter Sarabèr Kamerawerk Goslar 1948-1956” (Privatdruck Rhauderfehn 2013 – nur noch antiquarisch zu erhalten) ist zu entnehmen, dass Dutzende weiterer Variationen bekannt sind und auch Verschlusszeiten und die Gehäusekonstruktion innen x-mal geändert wurden. Die Finetta 99 gilt als erste 24 x 36-mm-Kleinbildkamera mit Federwerksmotor. Detailreiche Fotos dieser vier Kameras weiter unten, ein Foto eines fünften Modells, das schon länger im Museum vorhanden ist, finden Sie am Ende der Seite. 
finetta 99 bodys

Die vier Bodys mit ihren Objektiven stammen aus dem Nachlass der Familie Sarabér, der dem Museum 2022 auf Vermittlung von Uli Reichert von René Sarabèr überlassen wurde. Das Museum wird die Objekte erforschen, beschreiben und im Zusammenhang veröffentlichen.

Sarabèr Finetta 99 Dummy (069518)

finetta 99 069518 dummy frontal

Ein Schnittmodell aus dem Nachlass der Goslarer Unternehmer-Familie Sarabèr (Finetta-Werke). Gut zu sehen die außergewöhnlich dicke Filmaufwickelspule der Finettas. Hier konnte man die Wirkungsweise der mittels Federwerk motorisierten Kleinbildkamera erklären. Das Zeitenrad ist hier nicht vollständig. Durchmesser des Objektivanschlusses: 46 mm. Sonst sieht diese Ausführung mit der Serien- oder Inventarnummer 069518 aus wie die bekannten Kameras. Schrauben links und rechts vom Sucherfenster. Ausführliche Infos mit mehr Bildern hier.

Finetta 99 Nummer 075903

finetta 99 075903 front

Ein weiteres Modell aus dem Nachlass der Goslarer Unternehmer-Familie Sarabèr (Finetta-Werke). Das Zeitenrad ist hier interessanterweise nicht zylindrisch ausgeführt wie sonst, sondern dachförmig abgeflacht mit einer Befestigungsschraube in der Mitte. Der Schriftzug “Finetta 99” befindet sich vorne neben dem Sucher. Auf der Deckkappe über dem Sucher, wo normalerweise die Nummer eingraviert ist, findet sich zusätzlich noch ein Firmenlogo, das später nicht mehr verwendet wurde. Das Objektiv mit Schraubgewinde M 35 sitzt hier in einem Adapter. Vier Schrauben an der Frontseite der Deckkappe (sonst nur zwei oder gar keine). Mehr zu diesem Exponat hier.

Sarabèr Finetta 99 (080709)

finetta 99 080709 vorn

Im Bild rechts neben dem Blitzschuh gibt es bei dieser Version ein zweites Einstellrad für die Langzeiten von 1/25 bis 1 Sekunde. Vorne Schriftzug “Finetta 99”, oben Gravur “Saraber Goslar”. Keine Schrauben links und rechts vom Sucherfenster oder an der Gehäusefront (außer den vier Schrauben an der Bajonettfassung). Ausführliche Infos und mehr Fotos hier

Sarabèr Finetta 99 (082614)

finetta 99 082614 vorn

Eine Finetta-Version jetzt wieder ohne zweites “Zeitenrad”, aber wieder mit Objektivadapter “Bajonett auf Schraubgewinde”. Vorne Schriftzug Finetta 99, oben Gravur “Saraber Goslar”. Keine Schrauben links und rechts vom Sucherfenster. Die sogenannten Federstangen links und rechts unten neben dem Objektiv, die dem Objektivwechsel dienen, sind hier mit Schrauben befestigt. Ausführliche Infos und Fotos hier.

Hier zum Vergleich das museumseigene Serienmodell Finetta 99

finetta99 kt

Der Schriftzug “Finetta 99” befindet sich bei dieser Kamera oben auf dem Sucher, ein Logo ist nicht vorhanden, links und rechts vom Sucherfenster sind Schrauben. Das Objektiv ist ein P. Saraber Goslar Finon 1:2,8/45 mm mit einem speziellen Bajonettanschluss.  Die Federstangen haben hier keine sichtbaren Schrauben mehr. Ausführliche Vorstellung dieses Objekts hier.

Einmalig: Einstellbare Vorzündzeiten für das Blitzen am M-Kontakt

synchronzahlen

Unterhalb des Aufzugsknopfs des Federwerksmotors finden sich bei der Finetta 99 rätselhafte Zahlen über einem Schiebeschalter. Hier handelt es sich um die wahrscheinlich bei Kameras einmaligen Möglichkeit, sechs verschiedene Rastpositionen für die Vorzündzeit für Blitzbirnchen (M-Synchronisation) einzustellen. Ganz am Ende gibt es auch eine Position für X-Synchronisation (Elektronenblitzgerät). Die Verbindung zum entsprechenden Blitzgerät erfolgt über einen Kabelkontakt oder über einen sogenannten Hot Shoe, einen Zubehörschuh auf der Oberseite der Kamera mit einem Mittenkontakt, wie bereits von der Finetta Super bekannt.