Peter Sarabèr, die Finetta-Werke Goslar und zwei “Weltrekorde”

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Bild: Kurt Tauber

Es beginnt schon damit, dass der Erfinder der Finetta-Kameras und Gründer und Eigentümer der Finetta-Werke in Goslar in fast jeder Veröffentlichung andere Vornamen bekommt: Wahlweise Piet, Peter oder Petrus Gerardus. Und irgendwie ist alles richtig. Nicht weniger kompliziert wird es, wenn vom Mitkonstrukteur der Bolsey 8 die Rede ist: dem gebürtigen Ukrainer Jacques Bogopolsky, der sich später in Amerika erst Boolsky und dann Bolsey nannte. Piet/Peter/Petrus Sarabèr war ein gebürtiger Holländer, der während des zweiten Weltkriegs eine Deutsche ehelichte und nach dem Krieg deshalb in Holland nicht mehr so gerne gesehen war. Ein Glück für Goslar und die deutsche Fotoindustrie, wie sich bald herausstellte.

Mehr als nur die Finetta-Kameras, mit denen er bekannt wurde

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Auch so ein Geniestreich Sarabèrs: die TELL CIN S 8, die kleinste Super-8-Filmkamera der Welt - heute eine Rarität.

Petrus Gerardus Sarabèr wurde 1899 in Delft in Holland geboren. Nach der Ausbildung zum Elektriker gründete er eine eigene Firma, über die heute nichts mehr bekannt ist, und absolvierte ein Ingenieurstudium. Nach dem Umzug nach Antwerpen eröffnete er ein Import-/Exportgeschäft. Nach der Heirat mit einer deutschen Frau sah er in seiner Heimat keine rechte Zukunft mehr und gründete in Deutschland erneut eine Firma, deren Geschäftsfeld auch nicht mehr zu ergründen ist.

1947 reifte der Gedanke, zusammen mit dem ehemaligen Voigtländer-Konstrukteur Helmut Finke Fotoapparate herzustellen, denn die waren in Deutschland jetzt Mangelware. Viele der Kameras in Privatbesitz hatten nach dem Krieg in alliierten Besatzungssoldaten – nicht nur im russischen Sektor – bei Hausdurchsuchungen “neue Besitzer gefunden”. 

Nach Zeitzeugenberichten fahndeten auch z. B. US-Soldaten in den eroberten und besetzten Gebieten gezielt nach Leicas und Rolleiflexen, Voigtländer- und Zeiss-Kameras und was die blühende deutsche Vorkriegs-Fotoindustrie sonst noch Weltberühmtes hervorgebracht hatte, wobei ihre rechtmäßigen Besitzer nicht selten zur Herausgabe mit Gewalt erpresst oder mit dem Tode bedroht wurden.

Die Fotoapparate, die vor den Soldaten erfolgreich auf dem Dachboden oder im Kohlekeller versteckt oder sorgfältig eingepackt im Garten vergraben die Plünderungen überlebt hatten, landeten später zudem oft auf dem Schwarzmarkt, wo sie gegen Dinge des täglichen Bedarfs eingetauscht wurden, um das Überleben der Familien zu sichern. Die wenigen etablierten deutschen Fotohersteller, die wieder produzieren durften, litten unter den kriegsbedingten Zerstörungen von Werkshallen und Maschinen und ganz allgemein unter Rohstoffmangel. Besondere Hoffnungen setzten Sarabèr und Helmut Finke in den Bau von einfachen, preiswerten Kameras, wonach man sich eine große Nachfrage versprach. 1948 wurde folglich in Goslar ein Industriebetrieb zur Herstellung von Fotoapparaten gegründet. 

Die Finetta-Werke in Goslar hatten natürlich ebenso mit dem Fachkräftemangel, fehlenden Maschinen und Zulieferproblemen etwa bei Objektiven und Verschlüssen zu kämpfen. So musste Sarabèr notgedrungen seine Maschinen selbst bauen oder optimieren und bewies dabei wirkliche Improvisationsgabe und Talent für ungewöhnliche Ideen und Lösungen. Die Linsen, die schließlich die Firma Staeble aus dem Schongau lieferten, mussten in Goslar selbst gefasst werden, die fertigen Objekive wurden im Werk graviert. Verschlüsse wurden eben selbst konstruiert.

Die weitere Entwicklung des Betriebs, der unter heute unvorstellbar einfachen Bedingungen in einer ehemaligen Kaserne startete, ist farbig und detailliert in dem Buch “Finetta – Peter Sarabèr – Kamerawerk Goslar 1948-1956” von Heinz Veddeler beschrieben worden. 

Ein paar Eindrücke aus dem Betrieb anhand von Werksfotos aus den 1950ern

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finetta automaten dreherei

In diesem Beitrag soll und kann auf die Details der Firmengeschichte nur am Rande eingegangen werden. Hier geht es vielmehr um die Erzeugnisse des Finetta-Werks, die heute noch nicht nur bei Sammlern bekannt sind und um die Ideen Peter Sarabèrs, die er für andere Firmen auch nach dem Konkurs der Finetta-Werke im Jahre 1956 noch verwirklichte. 

Immerhin führten die Konstruktionen zu zwei “Weltrekorden”: der kleinsten Super-8-Filmkamera der Welt TELL CIN S 8 und der kleinsten Filmkamera aller Zeiten, der Bolsey 8. 

Die wichtigsten Konstruktionen und Produkte aus Goslar

Bolsa 8 (Bolsey 8)

Es handelt sich bei diesem Exponat um keine wirkliche Kamera sondern „nur“ um einen Dummy, genauer einen Aluminiumblock in Größe und Gestalt der späteren Bolsey, die als kleinste analoge Filmkamera der Welt gilt mit ihren winzigen Abmessungen 82 x 65 x 34 mm (gemessen über alles). Dies ist der einzig heute bekannte Prototyp dieser Erfindung, an der auch Sarabers Geschäftspartner Jacques Bolsey beteiligt war.

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Tellag TELL CIN S 8

Eine absolute Rarität: Die TELL CIN S 8 ist die kleinste Super-8-Filmkamera der Welt, gebaut in nur 60 (!) Exemplaren in Zug in der Schweiz von der Tellag AG. Konstruiert wurde die Kleine (Gehäuse nur 88 x 68 x 35 mm groß) in Goslar von keinem geringeren als Peter Sarabèr, der mit der Finetta-Kameraserie Berühmtheit in Fachkreisen erlangte. 

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Finetta 99

Die Stiftung Kameramuseum Kurt Tauber besitzt fünf Kleinbildkameras Finetta 99 aus der Produktion der den Finetta-Werke in Goslar. Die Modellbezeichnung “99” soll übrigens vom Geburtsjahr Peter Sarabèrs “1899” abgeleitet worden sein. Und alle sehen zwar irgendwie gleich aus und sind dennoch so verschieden wie die Blätter eines Baumes. Kein Wunder: Es gab zig Konstruktionsänderungen und Versionen bei dieser Kamera.

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Finetta 88

Sucherkamera (1953) für den Kleinbildfilm 135 (Aufnahmeformat 24 x 36 mm). Motorischer Filmtransport (bis zu 2 Bilder pro Sekunde mittels Federwerksaufzug). Manuelle Schärfeeinstellung, mechanischer Zentralverschluss bis 1/250 Sekunde, manuelle Belichtungssteuerung. Blitzanschluss: Mittenkontakt im Zubehörschuh. Wechselobjektive (hier mit Objektiv Finetar 1:2,8/45 mm).

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Finetta IV D

Sucherkamera (1950) für den Kleinbildfilm 135 (Aufnahmeformat 24 x 36 mm). Manuelle Schärfeeinstellung, mechanischer Zentralverschluss (1/25, 1/50 und 1/100 Sekunde und B), manuelle Belichtungssteuerung. Blitzkontakt. Objektivanschluss: M-26-Gewinde mit Objektiven Finetar 1:4,0/43 mm (im Bild), Finetar 1:2,8/45 mm, Tele Finar 1:6,3/70 mm.

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Finetta Super

Sucherkamera, 1951, für den Film 135 (Kleinbildfilm – Aufnahmeformat 24 x 36 mm). Hersteller: Finetta-Werk, P. Sarabèr, Goslar. Mechanischer Zentralverschluss (B, 1/25-1/250 Sekunde), manuelle Belichtungssteuerung. Objektiv: Finetar 1:2,8/43 mm, Finetar 1:4/43 mm oder Finetar 1:2,8/45 mm (im Bild). Erste deutsche Kamera mit Blitzkontakte im Zubehörschuh. Im ersten Fertigungsjahr war die schnellste Verschlusszeit 1/100 Sekunde, dann 1/250.

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EMO Emolux

Eine Rarität aus der Ideenschmiede in Goslar. Peter Sarabèr, der Erfinder der Finettas, der Bolsey 8 oder der TELL CIN S 8, konstruierte für die Firma EMO Elektronik in Wetzlar 1962 dieses Kondensator-Blitzgerät für Blitzlampen vom Typ AG-1 namens EMO Emolux. Besonderheit: die kleine Bauform, die dadurch ermöglicht wurde, dass der Blitzreflektor ins Gehäuse eingeschoben wurde. Batterie: 15-Volt.

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