2015: Interview Raffaele Horstmann

Bild: Raffaele Horstmann

Als kommerzieller Fotograf arbeitet er im Schmuckbereich, fotografiert Imagewerbung und ist im Theater ebenso zu Hause wie im innovativen Produktmanagement. Aber seine freien Arbeiten, für die er schon diverse Preise – etwa den Canon-Profifoto-Förderpreis 2014 – eingeheimst hat, sind eher verstörend. Faszinierend, aber schwer zugänglich, Kompositionen des Entsetzens, des Erstaunens, des Verblüffens. Doch einzigartig, absolute Hingucker.

Unmittelbar nach seinem 26. Geburtstag stellte Raffaele Horstmann Kostproben seiner Arbeiten, die niemanden kalt lassen, vom 25. Oktober bis 29. November 2015 in der Galerie des Deutschen Kameramuseums in Plech aus. Die jeweils quadratmetergroßen Drucke seiner „Code Against Code“ getauften Serie hingen erstmalig im kompletten, drei mal zehn Motive umfassenden Konzept. Damit schloss er sein fast fünf Jahre andauerndes Projekt ab und setzte den Schlusspunkt eines turbulenten und erfolgreichen Ausstellungsjahres im Kameramuseum. Museumsleiter Kurt Tauber führte in der Vorbereitungsphase im Herbst 2015 das folgende Interview mit Raffaele Horstmann. Wir dokumentieren das sehr aufschlussreiche Gespräch hier in voller Länge:

Du kommst mit deinem gerade fertig gestellten Zyklus „Code Against Code“ zu uns nach Plech. Kannst du für unsere Leser kurz erklären, was der Titel bedeutet und welcher Grundgedanke sich dahinter verbirgt?

Horstmann: Sehr gern! „Code Against Code“ ist eine Gleichung und beschreibt den Kampf, den wir als Mensch täglich führen. Den Kampf gegen unsere eigenen Gedanken, gegen die Schubladensortierung von außen, gegen unsere Umgebung, unser ökologisches System und unseren Planeten. Ersetzt man in der Gleichung das Wort „Code“ zum Beispiel durch „Mensch“, „System“ oder „Natur“, fällt auf, dass wir uns in einem ständigen Kampf befinden – gegen uns selbst. Es geht darum, was wir sind, wer wir sein sollten und wie wir sind.

Es handelt sich um verschiedene Serien, die im Laufe der letzten Jahre entstanden sind. Der Aufwand an Menschen und Material war enorm. Du giltst als Kontrollfreak mit Drehbuch, als gewissenhafter Planer mit minutiöser Vorbereitung. Ist Fotokunst planbar? Muss sie immer planbar sein oder entstehen auch spontane Motivvariationen?

Horstmann: Haha, so viele Fragen! Fotografie muss ganz und gar nicht geplant sein. Und was „Kunst“, was eine „Fotografie“ oder einfach nur ein „Schnappschuss“ ist, möchte ich nicht entscheiden müssen.

Ich hatte mit dieser Serie ein damals unerreichbar scheinendes Ziel vor Augen. Aus einer Idee entstand die erste Serie, technisch und auch stilistisch weit perfekter als meine vorherigen Arbeiten. Um an der Geschichte festzuhalten und den ersten zehn Fotos einen Gegenpart zu bieten, entwickelte ich zusammen mit meinem Team eine zweite Serie. Es war schnell klar, dass wir nicht mehr mit drei Treffen zur Vorbereitung und zwei Shootingtagen auskommen konnten. Auch unser Budget mussten wir vervielfachen.

Es entstanden erst vier und nach Monaten sechs weitere Fotos – diese brauchten insgesamt 18 vorherige Treffen, fünf Aufbautage, fünf Shootingnächte, diverse Lkw-Ladungen mit Equipment. Auch das Team aus zwei Kostümbildnern, einer Visagistin und einer Dramaturgie-Partnerin musste erweitert werden.

Es musste ein genauer Plan her, wir mussten genau wissen, wann der Bühnenbauer kommt und unser Set aufbaut, wann das jeweilige Modell eintrifft und wann es in die Maske, umgezogen und ins Set gebracht werden kann. Aus einem fünfköpfigen Team wurde eines mit 25 Personen und neun Models. Und wieder hatten wir gefühlte vier Qualitätslevel übersprungen und unsere eigenen Erwartungen übertroffen.

Und so sammelte sich bis zur dritten Serie dann ein Ensemble an Verrückten und absolut bedingungslosen Künstlern aller Bereiche an – ich denke es waren am Ende sicher 75 oder 80 Personen beteiligt. Es klingt irrsinnig und etwas chaotisch – das war es aber nur selten. Ohne einen maximalen Durchblick und minutiöse Taktung entgleitet nicht nur die absolut notwendige Professionalität sondern auch der ein oder andere Raucher in eine absolut notwendige Pause – und dafür ist an diesem Tag, an dem ich 15 Leute unter einen Hut bringen konnte, so einfach spontan keine Zeit. Trotzdem passiert es gelegentlich, dass wir ein Motiv neu fotografieren müssen oder noch vor Ort im Set große Änderungen vornehmen.

Du bist im Internet sehr präsent mit deinen Fotos, du tauchst online bei diversen Communities auf, spielst in spaßigen Guerilla-Videoclips mit und testest auf der anderen Seite ganz seriös für Meyer-Optik Görlitz neue Objektive. Wer ist dieser schillernde Raffaele Horstmann eigentlich wirklich, der auf Facebook auch einen Account als „Fotojunge“ hat? Ein paar biografische Daten und ein paar Sätze zu deinem Werdegang bitte!

Horstmann: Der Werdegang… Kindergarten, Realschule, Einzelhandelskaufmann, Stipendium Fotografiestudium, Freiberufler – und das nun auch schon seit über vier Jahren!

Wer bin ich wirklich? Das wissen wohl andere besser. Ich für mich habe nur eine greifbare Erklärung: Eine Hälfte meines Bluts ist deutsch – zielstrebig, konzentriert, gewinnorientiert und schnell. Die andere Hälfte ist italienisch – romantisch, tiefgründig, rastlos, frei von Grenzen und Zeit.

Ob diese Eigenschaften, wie Teufelchen und Engelchen auf der Schulter sitzend, nun das aus mir machen was ich bin – das weiß ich nicht. Aber ich bin sehr dankbar für diese große Unentschlossenheit, die am Ende dafür sorgt, dass ich nach einem 18-Stundentag wie ein Irrer mit fünf Skizzenbüchern im Büro die ganze Nacht über irgendetwas Neuem sitze.

Ich habe immer alles machen wollen. Mich hat es ungemein genervt „nur“ in die Schule gehen zu können oder „nur“ das machen zu dürfen, was auch dem Chef gefiel.

Und jetzt mache ich seit Jahren genau das, was ich immer machen wollte. Nur die Dinge, die ich liebe. Und das ist einfach nur grandios und wunderbar.

Du bist noch sehr jung, gerade mal 26 Jahre. Wie sind deine Zukunftspläne? Was sind deine nächsten Projekte?

Horstmann: Rentenvorsorge & Künstlerleben! Da sind sie wieder, Teufelchen und Engelchen, haha. Spaß bei Seite: Ich arbeite an einem neuen Projekt. Es entstehen 51 Fotos zu drei Alben eines inspirierenden Musikers – sozusagen wie der Film zum Buch.

Ich möchte mich weniger an Regeln halten, wieder mit einem ganz kleinen Team arbeiten und weniger perfekt sein, mehr polarisieren. Und ich möchte das Projekt schneller abschließen als das letzte, wobei mein bisher 560 Seiten zählender Recherche-Ordner das nicht leichter macht, haha.

Außerdem möchte ich eine Reihe riesiger Drucke von winzigen Sofortbild-Scans zeigen – was darauf zu sehen ist, verrate ich noch nicht.

The Black Old Story 10

Wir haben dich gebeten, bei der Vernissage einen Vortrag zu halten. Du hast uns etwas anderes vorgeschlagen! Was genau und warum?

Horstmann: Ich möchte mich nicht vor eine Gruppe Interessierter stellen und von Dingen erzählen, die vielleicht gar nicht das sind, was man hören wollte.

Ich werde meine alten Rechercheunterlagen und meine Skizzenbücher mitbringen. Außerdem meinen Laptop mit den ursprünglichen, unbearbeiteten Originalaufnahmen. Ich freue mich darauf, gemeinsam mit den Besuchern an einem Tisch zu sitzen oder durch die Ausstellung zu wandern und ihnen die Fragen zu beantworten, die sie haben. Ich möchte zeigen, wie aufwändig eine Planung ist, wie eine originale Aufnahme vor der Bearbeitung aussieht und würde gerne mit den Besuchern zusammen das Konzept erkunden.

Wo hast du schon überall ausgestellt und warum stellst du jetzt im Deutschen Kameramuseum in Plech aus?

Horstmann: Auf der Photokina, auf ein paar kleineren Ausstellungen und zuletzt in Nettetal auf der „Expo“, einer Ausstellung mit 34 Künstlern. Dort habe ich zum ersten Mal eine Installation gezeigt, die den Betrachter automatisch in ein Labyrinth aus Stahlzäunen zieht und ihn so in ein Set lockt, wie es beim Fotografieren mit den Modellen passiert ist.

Das war sicherlich auch ein Schlüsselmoment, der mir gezeigt hat, dass ich 2016 mindestens fünf konzeptionelle Ausstellungen machen will. Und, dass ich mehr freie Arbeiten machen muss.

Warum in Plech? Weil ich euch sehr sympathisch finde und euch und die vielen Kameras sowieso schon lange mal besuchen wollte… Und ich freue mich unendlich darauf, aus dir, dem ehemaligen Galeristen Kurt Tauber, und dem „freidrehenden Künstlerkopf“ Jens Werlein das Allerverrückteste rauszuholen und eine andersartige und interessante Ausstellung in eure Stadt zu bringen.