Wunderschönes Zeugnis früherer Sorgfalt im Umgang mit Fotos und Erinnerungen: ein (zusammengeklappt) nur 8,5 x 9,5 x 1,5 cm kleines Reisealbum mit Ledereinband, rotem Samt als Innenfutter und einer Glasplatte über dem etwa 5 x 6,5 cm großen Bild im ovalen Ausschnitt – eine Ambrotypie. Der Daguerreotypie-Experte Michael Straßburger schreibt in seiner Expertise für das Deutsche Kameramuseum (mit allen Unwägbarkeiten einer “Ferndiagnose”):
“Eine typische amerikanische Ambrotypie auf einer 1/6-Platte, aufgenommen zwischen 1863 und 1866. Diese Art von Rahmung in den so genannten Cases ist typisch für amerikanische Fotografien von den späten 1840er bis Ende der 1860er Jahre. Im europäischen Raum wurde in dieser Zeit ganz typisch einfach gerahmt, Daguerreotypien und Ambrotypien wurden hier nur selten in solchen Etuis präsentiert.
Das Messing-Passepartout ist von Dean & Emerson (Katalognummer 60), hergestellt zwischen 1863 und 1866. Das letzte bekannte Bild, welches durch eine Beschriftung auf der Rückseite oder im Inneren des Etuis datiert werden konnte, wurde 1869 damit versehen. Der Messingrahmen (Preserver) ist der “klassizistische”, meist verwendet in den frühen 1860er Jahren. Das alles spricht für meine Vermutung, das es sich um eine Ambrotypie handelt. Eine Ferrotypie (Tintype) kann man ausschließen, weil deren Herstellung zu billig war, um sie so teuer zu rahmen. Ein weiterer Grund für die Annahme, dass es eine Ambrotypie ist, ist der Umstand, dass die Ambrotypie die Daguerreotypie 1861 praktisch verdrängt hatte, 1857 hielt sich das gerade noch die Waage.
Jetzt wird es spannend: Das Etui wurde 1853 patentiert. Da man auch damals schon immer nur das Neueste haben wollte, ist das eigenartig. Ich denke folgendermaßen darüber: Um Geld zu sparen hat der Kunde entweder ein altes Etui mitgebracht, oder der Fotograf hat Altbestände verkauft.” Um das zweifelsfrei feststellen zu können müsste man das Bild ausrahmen, was wir aber nicht möchten.